Der Einsame Astronaut

von: Bartok

Das schwarze Raumschiff flog durch das Universum. Licht von tausend Sonnen strahlte auf den Tragflächen, die wie die goldenen Flügel eines himmlischen Wesens den einsamen Astronaut auf die unendliche Finsternis zutrugen.

Für jemanden, der nicht gesehen hatte, nicht wusste, was der einsame Astronaut in seinem Gedächtnis gespeichert hatte wäre es sicher seltsam vorgekommen, dass er das Triebwerk abschaltete. Er lehnte sich in den Pilotensitz, legte seine Hände auf die Armlehnen und übergab die Kontrolle über das Schiff an die Anziehungskraft des Schwarzen Lochs.

Tausende Galaxien lagen hinter ihm, deren gewaltige Weiten Geheimnisse bargen, die noch kein Astronom zu enträtseln vermochte. Doch der einsame Astronaut wusste die Antwort auf jede Frage – bis auf eine – die je ein Mensch, der zum Nachthimmel hinaufgeblickt hatte, gestellt hatte. Sie hatten ihm ihre Wunder gezeigt: Planten! Tausende hatte er besucht. Auf tausenden war er gestrandet. Er hatte gesehen, wie sich Zivilisationen erhoben und wie sie fielen. Wie wesen stritten und liebten. Auf der Erde nannte man sie Aliens und obwohl Außerirdisches Leben so anders aussah, verhielt es sich doch so vertraut.

Der einsame Astronaut hatte immer wieder Abschied genommen, denn er war rastlos. Die Sternenkarten im Speicher seines Bordcomputers lotsten ihn auf den Pfad des Exilanten. In der Kälte des Weltraums lenkte er sein Raumschiff auf Gravitations-Wellen, die gegen den Bug schwappten, durch Molekülwolken immer den Kurs haltend, das Solarsegel immer im Sternenwind.

Er pflegte die Sterne zu zählen, wenn er nicht schlafen konnte und kannte all ihre Namen: Kalim-432, YT-999, Beta Ona Zet, Guinevere… Sie waren seine Freunde gewesen. Er war ihren Lichtern gefolgt, nur um herauszufinden, dass sie tot waren. Tausend Jahre hatte er beobachtet wie sie matter wurden, bis sie schließlich erloschen. Und so ging er zu Bett.

Und träumte von einem Leben, das einst gelebt worden war. Er ging die Treppen hinauf, in den Raum mit der weißen, unordentlichen Bettdecke. Vor der Glaswand stand die blonde Silhouette, deren Gesicht vom Licht der Sonne erhellt wurde. Er trat näher und blickte hinaus auf den See…

…der Finsternis. Seine Hand berührte das Bullauge. Die Instrumente piepsten und zwitscherten ihr andauerndes Lied. Kummer und Schmerz schwollen in seinem Herz an und seine Augen wurden feucht, doch er blieb stark. Warum jetzt aufhören, wenn er es die letzten eintausend Jahre gewesen war? Wahrscheinlich wusste er nicht einmal mehr wie. Er war immer stark gewesen und hatte in zu vielen Sternenkriegen gekämpft. Hatte jeden verloren, bis er als Einziger übrig war. Der einsame Astronaut.

Man erzählte Geschichten über ihn, den Mann aus der Milchstraße. Der Wanderer von Zeit und Raum, der hinunterstieg in die Höhle der Bestie und mit Space-Walen durch die regenbogenfarbenen Nebel des tiefen Weltalls geschwommen ist. Es gab einen Ort, wo all diese Geschichten aufbewahrt wurden. Der Speicher des Schiffs war sein eigener, doch in der Tiefe der Maschine gab es ein Loch, welches das Universum nicht zu schließen vermochte. Deshalb machte er lange Spaziergänge auf dem Mond, um seinen Kopf frei zu bekommen und Steine hüpfen zu lassen. Doch hüpften sie nur ein Mal. Er war nicht besonders gut darin.

Damals, in den alten Tagen hatte es eine Zeit gegeben, als seine Wege krumm gewesen waren. Als er die Gunst einer Imperatorin genossen hatte. Als er eine Revolution begonnen hatte. Als er seine Vergeltung nicht bekommen hatte. Als er seine Eloquenz verloren hatte. Als er vor der Exekution geflohen war. Als er vor Häschern davongelaufen war. Als er beinahe in das Gesicht der Evo-

Der Alarm schrillte, die Lichter glommen rot, als wusste das Schiff, wie es enden würde. Er drückte Knöpfe, zog an Hebeln und plötzlich hörte sich für immer gar nicht mal so schlecht an.

Die Lichter gingen aus, als akzeptierte das Schiff sein Schicksal. Der einsame Astronaut saß still im Sitz des Captains und blickte auf die helle Narbe, die sich über den Rücken seiner dunkelbraunen Hand zog.

Das Raumschiff passte sich an die Rotation des schwarzen Lochs an. Tausende von Sternen zogen über das Cockpit hinweg. Im ganzen Universum hatte er nicht finden können, wonach er suchte. Doch vielleicht würde er es auf der anderen Seite. Das schwarze Raumschiff durchbrach den Ereignishorizont und drang in die Singularität ein.

 

Ist dies das Ende?

Wärest du traurig, wenn es so wäre?

Über colourfulwilbur

Marc interessiert sich für Literatur, Natur und Musik (Thrash Metal, Death Metal, Crustpunk, D-Beat, u.Ä.). Seine Schwerpunkt-Themen sind der Individuum-Allgemeinheit-Gegensatz, die Unbeugsamkeit der Natur und soziale Ungerechtigkeit. Die verehrten Autoren und Autorinnen sind allzu zahlreich. Dennoch sollen Umberto Eco, J.R.R. Tolkien, Stanislaw Lem, Hermann Hesse, Fjodor Dostojewski (vor allem "Schuld und Sühne"), Robert Musil (vor allem "Der Mann ohne Eigenschaften") und George Orwell als besonders geliebte Vertreter genannt werden.
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